Vergesst die Gastfreundschaft nicht;
denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen,
Engel beherbergt!

Hebräer 13,2


„Wer eine Reise tut, der kann was erzählen.“ - Diese Worte scheinen eher davor zu warnen, eine Reise zu tun. Unwillkürlich fühlt man sich an Berichte über die schlimmsten Hotelerlebnisse erinnert, die einem immer kurz vor der Reisezeit begegnen. Schon schaut man sich das Hotel, das man buchen möchte, viel genauer an.

Aber wenn man den Satz an einer entscheidenden Stelle ändert, hört er sich wie ein Versprechen an. So wie der Duft eines Apfelkuchens, kurz bevor er im Ofen gar wird.
„Nur wer eine Reise tut, der kann was erzählen“. In diesem Wort steckt die Aufforderung sich aufzumachen. Da ist die Rede von einer möglicherweise verpassten Gelegenheit. Da hat man bereits den Geruch der Ferne in der Nase, den Geschmack einer anderen Küche am Gaumen, die Musik eines anderen Landes im Ohr und die Farben einer unbekannten Gegend vor dem geistigen Auge. Der Appetit ist geweckt, man will fort. Raus aus dem faden Alltag, weg vom Stress – Urlaub, alles wird anders. Und da spürt man sie, die Sehnsucht nach Erlösung aus dem hier uns jetzt. Aber wenn man sich nicht aufmacht, bleibt alles nur ein Hirngespinst.

Die Erlösung im Herzen

Die Worte, die uns der Monatsspruch für den Juni mitgibt, sind von jemandem geschrieben, der in Sachen Erlösung unterwegs gewesen war. Er war nicht auf der Reise um Erlösung zu finden, sondern er hatte sie im Gepäck, oder noch viel besser: Er trug sie im Herzen, die frohe Botschaft von Jesus Christus.
Der Brief, aus dem die Zeilen unseres Monatsspruches stammen, ist an eine Gemeinde gerichtet. Er wurde einer Zeit geschrieben, in der sich das, was wir heute Gemeinde oder Kirche kennen, gerade erst im Aufbau befand. Es gab keine festen Strukturen, keine Anlaufpunkte oder gar ein christliches Gasthaus. Mit dem Reisen von Ort zu Ort und von Land zu Land kam die Nachricht von Jesus Christus bei den Menschen in der ganzen Welt an.

Vom Einkehren

Ein Mensch, welcher in der Fremde Menschen die Erlösung bringen will und kaum etwas anderes als diese besitzt, ist dankbar, wenn er unterwegs freundliche Aufnahme findet und für sein leibliches Wohl gesorgt ist, ohne dass er sich um die Rechnung Sorgen machen muss.
So ist es nur zu verständlich, dass er seinem Abschiedsgruß die Aufforderung voranstellt, diesen Dienst, auf den er so sehr angewiesen ist, nicht zu vernachlässigen. Der Monatsspruch blendet den Vers 1 aus, mit dem zusammen die Aufforderung den richtigen Kontext bekommt: „Bleibt fest in der brüderlichen Liebe.“ (nach Luther).
Gast zu sein und Gast zu geben im Sinne der Nächsten- oder Bruderliebe funktioniert nicht, wenn man dem anderen, mit man das Brot teilt, nicht auch ein Stück Liebe teilt. Im Wort Gastgeber steckt so viel mehr, als dem anderen nur eine trockene Bettstatt zu geben, auch wenn das oft schon viel ist.

Von neuen Zeiten

Heute ist Reisen viel weniger ein Abenteuer als damals vor 2000 Jahren. Selbst in den entferntesten Ecken dieser Erde lässt sich heute ein Hotel vom heimischen Sofa aus buchen. Mit einem Klick kann man erfahren, ob das Essen schmeckt, die Betten sauber und die Bedienung gut ist. Wir sind auf die Hoffnung gute Gastfreundschaft zu erleben, nicht mehr angewiesen. Schlimmstenfalls fliegen wir am nächsten Tag wieder nach Hause. Der moderne Apostel oder Evangelist – ein solcher ist der Schreiber des Hebräerbriefes von damals ja wohl gewesen – ist auf das Wagnis Gastfreundschaft wohl nicht mehr angewiesen.

Vom Beschenktsein

Im vollen, über Jahre geplanten Terminkalender findet eins immer weniger statt: Begegnung. Wir nehmen die Bequemlichkeiten unserer Zeit dankbar an. Wir sind auf niemanden angewiesen, fallen keinem zur Last. Auch der Gastgeber hat es einfach: er braucht ein solcher nicht mehr sein. Man ist voneinander unabhängig. Alles ist einfacher und unverbindlicher, planbarer geworden. Und genau da steckt das Problem – die Verbindung geht verloren.
Eine meiner Töchter war dieses Jahr mit ihrer Klasse im Ausland. Man war zu Gast bei Familien, die jungen Leute schliefen bei ihren Altersgenossen zu Hause. Die Gastfreundschaft, die sie dort erlebte, hat meine Tochter anders nach Hause kommen lassen, als sie hingefahren ist. Sie kam reich beschenkt zurück. Ein beschenkt sein, dass sogar in die Herzen von uns als Eltern gestrahlt hat.
Wir können in diesem Jahr noch etwas von der Freude zurückgeben – die Kinder aus der Partnerstadt werden bald zu uns kommen. Und schon schafft das eine Zeit lang geteilte Leben ein Stück Verbindung, die man wohl bei einer Übernachtung im Hotel oder einer Jugendherberge nicht hätte erfahren können.

Vom Brot des Lebens

In unserem Bibeltext ist von Engeln die Rede. Ich weiß nicht, ob mir schon einmal Engel begegnet sind. Aber Menschen, die mir mit ihrer Gemeinschaft etwas ganz Besonderes geschenkt haben, auf jeden Fall. Manchmal, ja viel zu selten, sitzen solche Menschen bei uns zu Hause am Tisch, man hat die Zeit zum Reden, teilt Brot und Wasser (…und manchmal sogar Wein) und gibt dem anderen für eine Zeit Geborgenheit und die Wärme eines zu Hause seins. Und beim Brotteilen wird so oft nicht nur Brot aus Getreide geteilt, sondern auch das Brot des Lebens, Jesus Christus. So kann die Erlösung, die der andere im Herzen trägt, auch heute noch zu uns kommen. Nehmen wir uns Zeit für Begegnung, öffnen wir Türen und gehen das Wagnis sein, Gastgeber zu sein oder auch einmal Gast zu sein.

Matthias Wank