Weigere dich nicht, dem Bedürftigen Gutes zu tun, wenn deine Hand es vermag.

Sprüche 3,27


 Diese Ermahnung „Weigere dich nicht …, wenn es dir möglich ist“ liest sich ja als täuschend einfache Herausforderung. Eine klare Handlungsanweisung! Glasklar. Eine Allegorie oder Metapher? Nicht erkennbar. Eine symbolische Übertragung? Keine Anzeichen.

Und weil diese Anweisung so klar ist, enthält sie eine große Herausforderung: Dieser Satz ist, weil er so klar ist, ein Spiegel, der mir sehr klar zeigt, was in meinen Herzen ist. Und was in meinem Herzen ist, wird sich ja auch in Taten und Worten zeigen. Da kann es sein, dass man am liebsten still sitzen bleiben und gar nichts sagen möchte, stimmt’s?**

Tja, was sehe ich bei diesem Blick in meinem Herzen? Da entdecke ich eher eine Abwehrhaltung, eine Rechtfertigung von mir selbst, um eben nicht vorbehaltlos dem ‚Bedürftigen’ weiterzugeben. Stellen wir etwas schärfer:

Da kommt zuerst das Bild von den Menschen auf den Straßen von Leipzig und Mülheim (insoweit mich das betrifft). Ist das ‚habe Hunger‘ – Schild auf der Straße vor dem knieenden jungen Mann wirklich die Wahrheit? Ist dieser Jemand wirklich ein bedürftiger Menschen im Sinne dieses Verses? Oder habe ich das hier mit systematischem oder in einer anderen Weise ungerechtfertigtem Betteln zu tun? (Beim Nachdenken komme ich dann innerlich irgendwie zu einer Antwort, die mich freispricht … und trotzdem bleibt das Gefühl zurück, nicht richtig gehandelt zu haben.)
Wenn ich auf der Straße direkt um ‚Kleingeld‘ angesprochen werde, fühle ich mich jedes Mal überrumpelt, sodass mein Kopfschütteln schon ein Automatismus ist.

Oder wie gehe ich mit den vielen Briefen um, bei denen eindringlich um Spenden gebeten wird? Es sind doch alles Organisationen, die wirklich Gutes tun oder einen wichtigen Dienst verrichten, damit geistliche oder missionarische Dienste am Leben gehalten werden.

Bin ich am Ende wirklich der reiche Jüngling, den Jesus auffordert, jetzt im übertragenen Sinne alles bei eBay zu versteigern, um den Bedürftigen zu helfen?

Weigere dich nicht, solange deine Hand es vermag, solange du das irgendwie kannst. Es wäre nicht ehrlich, wenn ich jetzt schreiben würde, ich hätte für mich alle Antworten gefunden und könnte an den Vers einen Haken machen: Alles klar Gott, das mache ich doch schon lange so!

Lasst mich heute dazu einige wenige Gedanken mitgeben, die so in etwa widerspiegeln, wo ich gerade stehe. Dazu 3 kleine Erlebnisse als Bausteine:

  1. Die erste kleine Begebenheit hat sich vor der Frauenkirche in Dresden abgespielt, wo ich einer älteren Frau etwas in ihren Becher gelegt habe. Touristen, die das gesehen haben, haben mich daraufhin beschimpft, dass man den Bettelclans doch nur Vorschub leisten würde.
    Neben dem Jetzt-erst-recht-Gedanken macht sich eine neue Sicht in mir breit: meine Verantwortung ist das Geben. Was mit dem Geld dann passiert, liegt nicht mehr in meiner Zuständigkeit, wenn dieses Geben nicht leichtfertig und ein Missbrauch bereits vorher erkennbar war.
  2. Das 2. Erlebnis hat mich einem Buch zu tun, welches das Leben im 12. Jahrhundert beschreibt. Dort war es üblich, dass die besser betuchte Gesellschaft sich einen Almosensäckchen umband, um auf die Begegnung mit Bedürftigen vorzubereitet (!) zu sein. Es war üblich, den Bettlern, denen man auf dem Weg begegnete, immer etwas zu geben. Warum bereite ich mich vor solchen Gängen nicht ebenso vor und lasse mich immer, immer wieder überraschen?
  3. Das 3. Erlebnis hat mit unserem Gemeindebau zu tun. Das notwendige Spendenaufkommen war enorm und wir hatten uns (als Gemeinde) die Freiheit gegeben, die Unterstützung anderer Werke merklich zurückzufahren, um uns in den nächsten Jahren auf die Abzahlung des Gebäudekredites zu fokussieren. Wenn die Schulden abbezahlt sind, sind wir wieder frei, die Spenden wieder an anderer Stelle zu überlassen. Auch wenn dieser Gedankengang nicht ganz ohne innere Spannung abging, diesen Gedanken der Fokussierung habe ich mir behalten, ein Werk regelmäßig und stärker zu unterstützen.

Natürlich hat dieser Vers noch etliche andere Aspekte und viele Fragen sind offen, die sich in so einem kurzen Text nicht beantworten lassen, daher einfach einmal ein kurzer Blick in den oben erwähnten Spiegel.

Gebet: Gott, du hast mir vieles anvertraut, damit ich es gut verwalte, auch in Verantwortung gegenüber meinen Mitmenschen. Gerade in den beschriebenen Fällen tue ich mich sehr schwer. Doch auch hier möchte ich lernen und deinen Willen tun.

Thomas Cziesla   

 

** Die letzten Sätze wurden dem Buch Adrian Plass, Stürmische Zeiten, Brendow, 1. Auflage 2004, S. 137 entnommen und frei übertragen.