„Gott lieben, das ist die allerschönste Weisheit.“ (Sir. 1,10)


 

Liebe ist eines der stärksten, tiefsten und großartigsten Gefühle, die wir kennen. Gerade deshalb bereitet sie uns auch die stärksten, tiefsten und langanhaltendsten Schmerzen, wenn etwas mit ihr und uns nicht so ganz stimmt.

Ich kann sie vermissen und Mangel daran haben. Sie kann mir vorenthalten oder ganz entzogen werden. Sie kann verraten, missbraucht, verdreht und ausgenutzt werden. Das kann weh tun, Wunden reißen, mich ins Trauma stürzen, mein Leben erschüttern, vielleicht gar zerstören.

Noch schlimmer: Ich selber kann derjenige sein, der mit Lieblosigkeit oder allen möglichen Nuancen einer Liebe, die weder Liebe ist noch ihren Namen verdient, andere verletzt und ihnen den Raum zum Atmen oder gar zum Leben nimmt. Wenn nämlich der eigene Egoismus alle Liebesgaben des anderen an sich reißt und noch immer nicht verstanden hat, dass lieben vorrangig nicht mit Nehmen, sondern mit Geben zu tun hat. Nicht mit Glücklichwerden, sondern mit Glücklichmachen. Weil Liebe immer eine Zweisamkeit, ein Miteinander und ein sich gegenseitiges Ergänzen braucht, sonst gelingt sie nicht.

 

Gerade das ist aber das große Paradoxon der Liebe: Ich brauche sie selber dringend für mich, denn wo sie für mich erfahrbar ist, da bin ich geborgen, gewärmt, eingehüllt und rundum versorgt. Der andere braucht sie aber genauso dringend für sich, obwohl ich im Moment vielleicht gar nicht in der Lage bin, ihm welche weiterzugeben. Das ist ein Dilemma, an dem unser Miteinander leidet und Beziehungen wieder und wieder zerbrechen oder zumindest Schaden nehmen.

„Gott lieben …“  -  so wird uns im Monatsspruch gesagt - ist die Möglichkeit, der Ausweg, die Hoffnung, das vorhandene Defizit auszugleichen. Hier kommt eine andere Liebe und Weisheit ins Spiel, wenn wir es selber nicht schaffen, zu lieben und glücklich zu machen und von Menschen in unseren Liebeserwartungen enttäuscht werden. In der Beziehung zu Gott muss ich nicht geben, sondern kann mich lieben lassen, denn Gott hat mich zuerst geliebt. Ich nehme Liebe in Anspruch und erwidere sie mit den Möglichkeiten, die ich gerade habe.

„Gott ist die Liebe …“ (1. Joh. 4,16). Seine ganze Wesensart ist Liebe. Wie ein großer Tank, der für mich bereitsteht, den ich anzapfen und wo ich neu auftanken kann. Wo ich in der Beziehung zu Gott in die Arme genommen werde und mich bei ihm bergen und Zuflucht suchen - eben lieben lassen - kann.

Und dabei geht es nicht in erster Linie um große Gefühle, denn Liebe beginnt immer ganz zart. Erst im immer öfteren Umgang miteinander wird sie vertieft, reift heran und beginnt dann, nicht nach Äußerlichkeiten, sondern nach den anfangs verborgenen Werten zu suchen und zu urteilen.

Aber es beginnt eben immer mit einem sich Öffnen für Gott bzw. den anderen, der mir vielleicht zaghaft, aber doch für mich sichtbar, seine Liebeszeichen hinhält. Am Ende reift eine Weisheit und Einsicht heran, die Gott bzw. den anderen in einem ganz neuen Licht dastehen lässt:  Eine tiefe Liebe und eine „allerschönste Weisheit“ ist entstanden und blüht mehr und mehr auf, die wir uns vielleicht anfangs so überhaupt nicht vorstellen konnten.

Das wiederum lässt uns tiefes Glück empfinden bzw. macht zutiefst glücklich. Der französische Mathematiker, Physiker und Literat Blaise Pascal (1623‑1662) hat versucht, diesen nicht ganz einfachen Zusammenhang von Empfinden und Verstehen - also von Herz und Verstand - in folgende Worte zu fassen:

„Gott hat gewollt, dass die göttlichen Wahrheiten nicht durch den Verstand in das Herz, sondern durch das Herz in den Verstand eingehen. Denn die menschlichen Dinge muss man kennen, um sie zu lieben, die göttlichen muss man lieben, um sie zu kennen.

Ich wünsche jedem solche mutmachenden Erfahrungen - sowohl mit Gott als auch mit anderen Menschen. Und besonders dort, wo es um geliebte Menschen geht. Kämpft in Liebe um jede Beziehung! Füllt den Tank der Liebe neu bei dem lebendigen Gott! Und lasst die Liebe zur „allerschönsten Weisheit“ des (gemeinsamen) Lebens werden!

Thomas Lehnert